Berichterstattung von Du bist Halle zum Nachbarschaftstreffen am 15.8.2025
Vom Stasi-Komplex zum Gemeinschaftsort: Neues Leben für das ehemalige Verwaltungsgebäude am Gimritzer Damm in Halle-Neustadt – auch ehemaliger Bundestagsabgeordneter engagiert sich in neuer Genossenschaft
Fast ein Jahrzehnt lang stand das auffällige Gebäude am Gimritzer Damm still, verlassen von seinem letzten Nutzer, dem Finanzamt. Doch nun soll dem 7-geschossigen Bau mit seiner markanten rot-silbernen Aluminiumfassade und der bewegten Geschichte neues Leben eingehaucht werden. Das „Gemeinschaftsamt“ will das Areal, das einst die Bezirksverwaltung des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) beherbergte, in einen offenen, lebendigen Ort für alle verwandeln.
Eine Genossenschaft für den Wandel
Am 27. September 2025 soll der erste große Schritt gemacht werden: die Gründung einer Genossenschaft, die das Gebäude erwerben und betreiben will. Jeder Interessierte kann sich beteiligen – ab 400 Euro ist man mit zwei Anteilen dabei. Zu den Unterstützern zählen unter anderem auch der ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete Karamba Diaby und die Stadträtin Dörte Jacobi (Die PARTEI)
Wo genau die Gründungsveranstaltung stattfindet, wird in den kommenden Tagen bekannt gegeben. Klar ist aber schon jetzt: Die Pläne der Initiatorinnen und Initiatoren stoßen auf großes Interesse. Beim ersten offenen Nachbarschaftstreffen am Freitag kamen zahlreiche Menschen aus der Umgebung – nicht nur aus der benachbarten Selkestraße, sondern auch aus Heide-Süd und anderen Stadtteilen.
Ideen und Visionen: Vom Kinderclub bis zum Proberaum
Bei Kaffee und Kuchen wurde diskutiert, gefragt und gesammelt: Welche Nutzungen wünscht sich die Nachbarschaft für das Gemeinschaftsamt? Die Liste ist lang – ein Café, ein Kinderclub, Sportangebote, Veranstaltungsräume, Werkstätten, Ateliers. Die Initiatorinnen und Initiatoren denken bereits weiter: Es sollen bezahlbare, unbürokratisch nutzbare Räume entstehen – für Künstler:innen, Vereine, Start-ups, Handwerker:innen oder auch soziale Initiativen. Im Gegenzug für niedrige Mieten sollen die Nutzer die Räume eigenverantwortlich herrichten. „Aber bitte keine Disco“, sagte eine ältere Frau. Man habe schon genug Lärm von der Peißnitz.
„Wir wollen das Gebäude so schnell wie möglich wieder mit Leben füllen“, sagt Ulrich Möbius, einer der Mitinitiatoren. Der aktuelle Zustand ist allerdings herausfordernd: Kabel und Heizungsventile wurden von Metalldieben entfernt, es gibt Schäden und Leerstand – aber keine Pläne für umfassende Sanierung. Vielmehr setzt das Modell auf Selbstausbau statt Komplettsanierung.
Der große Unsicherheitsfaktor: Das Land Sachsen-Anhalt
Noch ist unklar, wie der Erwerb konkret ablaufen wird. Das Gebäude ist Eigentum des Landes Sachsen-Anhalt, das vermutlich über eine Ausschreibung entscheiden wird. Offen ist auch, ob der Gebäudekomplex des früheren Studentenwerks, der sich auf dem Gelände befindet, mitverkauft wird. Je nach Umfang geht es um 16.000 bis 20.000 Quadratmeter Fläche. Eine Entscheidung hierzu wird frühestens im Sommer 2026 erwartet.
Bis dahin will die Genossenschaft wachsen, planen und weiter Unterstützer:innen gewinnen.
Vom Geheimdienst zur offenen Gesellschaft: Die Geschichte des Areals
Das Gelände blickt auf eine ebenso spannende wie belastete Vergangenheit zurück. Ursprünglich Teil des 1925 eingerichteten Flugplatzes Nietleben, wurde das 10,78 Hektar große Areal 1969 dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS) übertragen. Ab 1971 entstand hier das heute noch weitgehend authentisch erhaltene Verwaltungsensemble mit markanter Architektur – ein fast autark funktionierender Behördenkomplex mit Bürohäusern, Garagen, Wachtürmen, Mauern und Freiflächen.
In den 1980er Jahren war die Bezirksverwaltung Halle für über 30 Abteilungen und über 1900 Mitarbeiter:innen zuständig. Auch die Umgebung war teils abgeschirmt – die Selkestraße war zeitweise für den öffentlichen Verkehr gesperrt, angrenzende Wohnblöcke beherbergten Mitarbeiter des MfS und deren Informelle Mitarbeiter (IM).
Mit der Friedlichen Revolution kam die Wende: Am 5. Dezember 1989 besetzte eine Gruppe des Neuen Forums die Dienststelle – begleitet von Bürgervertretern, überwacht durch den Militärstaatsanwalt. Die Stasi-Auflösung verlief in Halle vergleichsweise ruhig – aber viele Akten waren bereits vorher vernichtet worden.
Nutzung nach 1989 – und der lange Leerstand
Nach der Auflösung des MfS fand zunächst die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg zeitweise eine Nutzung für das Hauptgebäude. Später zog das Finanzamt ein, das den Komplex jedoch 2016 verließ. Seitdem verfiel das Gebäude zusehends, abgesehen von einer temporären Nutzung einzelner Räume durch das Werkleitz Medienfestival.
Erhalten und weiter genutzt wurde hingegen der Erweiterungsbau an der Blücherstraße, der seit 1991 die Außenstelle Halle des Stasi-Unterlagen-Archivs (heute Bundesarchiv) beherbergt. Auch dieser Teil wurde 1996 erweitert und energetisch saniert.
Ein Ort mit Potenzial – für die Stadtgesellschaft
Die Idee des „Gemeinschaftsamts“ ist mehr als nur eine Zwischennutzung. Sie ist ein Symbol für Transformation und Teilhabe: Ein Ort, der einst für Kontrolle und Abschottung stand, soll nun zu einem Raum für Kreativität, Gemeinschaft und Offenheit werden.
„Die Vergangenheit dieses Hauses ist uns bewusst“, sagt Möbius. „Aber wir glauben, dass genau hier ein Ort entstehen kann, der das Gegenteil davon lebt: ein Ort der Begegnung, der Vielfalt und der Mitgestaltung.“
Ob das gelingt, hängt nun vor allem von den nächsten Schritten des Landes ab – und vom Engagement der Menschen vor Ort. Doch das Interesse ist geweckt. Und der Wille zur Veränderung ist spürbar.
Zu Besuch bei Radio Corax
Wir waren am 7.8.2025 in der Sendung Widerhall bei Radio Corax zu Besuch. Hier ist der gesamte Beitrag zum Nachhören verfügbar: Weiterleitung zu radiocorax.de
Pressemitteilung: Gemeinsam gründen wir die Gemeinschaftsamt Genossenschaft!
Gemeinsam mit vielen Menschen und Organisationen dieser Stadt werden wir im Jahr 2026 das früher als Stasi-Bezirkszentrale und Finanzamt genutzte Areal kaufen und einen Ort des kreativen Arbeitens und Lebens in Halle-Neustadt schaffen.
Dazu gründen wir am 27.09.25 um 16 Uhr die Gemeinschaftsamt gemeinnützige eG (Ort wird noch bekannt gegeben). Bereits am 15.08.25 wird es von 15-18 Uhr ein erstes Nachbarschaftstreffen an der Ecke Gimritzer-Damm/Selkestraße geben.
Nachbarschaftstreffen am Freitag 15.8.2025 15 bis 18 Uhr
Wir laden am Freitag den 15.08. von 15 bis 18 Uhr alle Nachbarn und Interessierte zu unserem ersten Nachbarschaftstreffen vor dem zukünftigen Gemeinschaftsamt ein. Kommt zur Ecke Gimritzer-Damm/Selkestraße und lernt die Menschen hinter dem Gemeinschaftsamt kennen.
Bei Kaffee und Kuchen erzählen wir euch, welche Ideen es für die zukünftige Nutzung bereits gibt und fragen nach euren Wünschen. Dazu gibt es um 15:30 Uhr eine Führung zur Geschichte der ehemaligen Stasi-Bezirkszentrale durch einen Mitarbeiter des Stasi-Unterlagen-Archivs Halle.
Gründung Gemeinschaftsamt gemeinnützige eG am 27.9.2025 um 16 Uhr
Am 27.09.25 um 16 Uhr laden wir zur öffentlichen Gründung der Gemeinschaftsamt gemeinnützige eG ein (Ort wird noch bekannt gegeben). Mit der Genossenschaft schaffen wir den Grundstein für den Kauf des Geländes vom Land im Jahr 2026. Die Genossenschaftsanteile sind die Eigenmittel für den Kaufpreis. Jeder kann Mitglied werden, egal ob man zukünftig Räume nutzen oder einfach das Projekt unterstützen will. Jedes Mitglied hat, unabhängig von der Zahl der Anteile, eine Stimme um das Gemeinschaftsamt mitzugestalten. Die Genossenschaftsanteile sind eine Einlage, welche bei Austritt wieder ausgezahlt wird. Ihr könnt also euer Geld für einen guten Zweck anlegen. Als gemeinnützige Genossenschaft können wir aber auch Spenden entgegen nehmen. Also kommt zahlreich und lasst uns gemeinsam diesen Traum wahr werden!
Das Gemeinschaftsamt – ein Ort des kreativen Arbeitens und Lebens
Wir reaktivieren die ehemalige Stasi-Zentrale und Finanzamt in Halle-Neustadt und schaffen das Gemeinschaftsamt. Auf 20.000 qm Bruttogrundfläche entsteht ein Ort des kreativen Arbeitens und Lebens, mit über 100 Atelier-, Studio- und Proberäumen, Veranstaltungs- und Ausstellungsräume und viel Platz für Träume und gemeinsame Projekte. Das Gebäude liegt am Rande von Halle-Neustadt und in Sichtweite des Heide- und des Weinbergcampus. Auf der einen Seite der Stadtteil mit dem höchsten Anteil an Armen und Neuhinzugezogenen, auf der anderen das Zentrum der halleschen Naturwissenschaften inklusive vier nationaler Wissenschaftsinstitute. In Richtung Innenstadt ist die Kunsthochschule keine 2 km entfernt.
Indem wir einen Teil der halleschen Kreativszene nach Halle-Neustadt ziehen, helfen wir dem Stadtteil, sich zu wandeln. Gleichzeitig bieten wir Raum für Experimente, sich ausprobieren und der Begegnung kreativer Menschen mit den vielen neuen Bewohnern. Gemeinsam werden Projekte und soziale Unternehmen im Social Innovation Lab entwickelt und begleitet. Im FAB-Lab werden neue Produkte designt und ausprobiert. In den Veranstaltungsräumen gemeinsam kreativ gearbeitet und gefeiert.
Zur Umsetzung haben sich bereits über 100 Menschen aus Halle zusammengetan. Mit dabei erfahrene Raumpioniere vom Peißnitzhaus, der Wohnunion Halle, dem losmachen e.V., der Passage 13, des Freiraumbüro Halle und der Goldenen Rose. Aber auch zukünftige Nutzer wie dem Line-up Bühnenproduktion e.V., dem Theaterhaus Ost und Helle Kammer – Raum für Fotografie Halle (Saale).
https://www.gemeinschaftsamt.de
instagram.com/gemeinschaftsamt